Allerdings ist die Elektrifizierung des Mobilitätssektors ein sehr komplexer Prozess und die Entwicklung eines Elektrofahrzeugs unterscheidet sich stark von der Konzeption herkömmlicher Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.
Während die Entwickler des Verbrennungsmotors etwa ein Jahrhundert Zeit hatten, um die Technologie zu perfektionieren, wird von den an der Elektrifizierung arbeitenden Technikern verlangt, dass sie die Leistungsfähigkeit herkömmlicher Fahrzeuge innerhalb eines Jahrzehnts nicht nur erreichen, sondern übertreffen. Ingenieure, die an Elektrofahrzeugen arbeiten, müssen neuartige Komponenten wie elektrochemische Energiewandler und Energiespeichersysteme, also Brennstoffzellen und Batterien, sowie innovative elektrische Antriebs-, Lenk- und Bremssysteme in die Fahrzeuge integrieren. Für uns als Zulieferer hat dies dramatische Auswirkungen nicht nur auf unser Produktportfolio, sondern auch auf unsere Entwicklungsprozesse und insbesondere auf die Anforderungen an unsere Simulationsprozesse als integraler Bestandteil der Produktentwicklung.
Die Elektrifizierung bringt viele Herausforderungen mit sich
Bei der Entwicklung von Bauteilen und Komponenten für neue Mobilitätsanwendungen stehen die Entwicklungsabteilungen der involvierten Unternehmen oft vor sehr ähnlichen Herausforderungen. So ist beispielsweise die problematische Suche nach korrekten und geeigneten Materialmodellen zur Erzielung realistischer Berechnungsergebnisse ein Thema, das alle Akteure auf dem Gebiet der numerischen Simulation gleichermaßen betrifft. Gerade bei der Beschreibung von Elastomerwerkstoffen stellen wir häufig fest, dass Unternehmen zu vereinfachte Modelle verwenden, um Zeit und Aufwand zu sparen. Manchmal werden Temperatureinflüsse auf die Bauteilgestaltung und -auslegung vernachlässigt oder unterschätzt, die Kriechneigung der Komponenten des umgebenden Bauraums wird nicht berücksichtigt oder Toleranzsituationen und mögliche Montageprobleme werden übersehen.
Die Elektrifizierung und der zunehmende Einsatz elektronischer Komponenten sind mit vielen neuen Herausforderungen verbunden. Dabei geht es um Themen wie Wärmeübertragung und Wärmeleitfähigkeit, Fluid-Struktur-Kopplung, Mehrkomponententeile, Integration verschiedener Funktionen in dasselbe Design, Anwendung feuerhemmender Materialien, elektrische Leitfähigkeit, elektromagnetische Abschirmung, integrierte Sensoren, neuartige Aktuatoren – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Hinzu kommen viele neue Aspekte mit direktem Bezug zur Energiespeicherung und -wandlung, wie z.B. Abdichtung, thermische Stabilität und Sicherheits- und Schutzmassnahmen für Batteriesysteme sowie Abdichtung, Trennung und Isolierung von Komponenten für Brennstoffzellensysteme.
Materialien für neue Mobilitätsanwendungen
Dätwyler verfolgt in allen Bereichen einen proaktiven Ansatz. So hat das Unternehmen jüngst seine Kompetenzen bei elektrisch und thermisch leitfähigen sowie elektromagnetisch abschirmenden Materialien (ETEMI) erweitert. Das Projekt ETEMI wurde 2020 mit dem Ziel gestartet, innovative Werkstoffe für Anwendungen in der Elektromobilität zu entwickeln und umfasst neben herkömmlichen Elastomeren auch Flüssigsilikone (LSR) und Thermoplaste.
Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass unsere Kunden, die ihr Angebot mit Hybrid- und batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen diversifizieren, die gesamte Bandbreite an systemkritischen Dichtungskomponenten mit erweiterter Funktionalität nutzen können – etwa Dichtungen mit integrierter Leckage-Erkennung oder mit verbessertem Entladewiderstand für Batteriesysteme.
Nachhaltigkeit wird immer wichtiger
Auch Nachhaltigkeitsanforderungen spielen eine immer wichtigere Rolle – etwa bei der Verwendung neuer biobasierter Werkstoffe und Fragen der Gewichtsreduzierung. Obwohl die Dichtungselemente in der Regel klein und die Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit daher sehr begrenzt sind, müssen wir dennoch Probleme lösen, die beispielsweise im Rahmen der Gewichtsreduzierung entstehen, wenn wir metallische Werkstoffe durch Thermoplaste ersetzen.
Die Simulation leistet einen wertvollen Beitrag zur Lösung der genannten und vieler weiterer Fragestellungen. Sie hilft, benötigte Bauteile und Komponenten so zu optimieren, dass die bestmögliche Leistungsfähigkeit der Gesamtsysteme erreicht wird. Entscheidend ist dabei die frühzeitige Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Simulationspartner wie Dätwyler, um von Anfang an optimale Lösungen zu finden und viel Zeit und Investitionskosten zu sparen, damit die Produkte schneller auf den Markt kommen und ein Höchstmass an Qualität und Konformität aufweisen.
SIMULATIONSKOMPETENZ
Dätwyler verfügt über Simulationskompetenz in drei Kernbereichen:
Produktentwicklung
Wir führen statische und dynamische nichtlineare Strukturmechanik-Simulationen, statische und transiente thermische Simulationen sowie elektrische Simulationen durch. Mit Hilfe von Multiphysiksimulationen können wir die verschiedenen Disziplinen in den Modellen kombinieren, um die bestmögliche Übereinstimmung der Simulationen mit der Realität zu gewährleisten. Die Implementierung der computergestützten Strömungsmechanik stellt unseren nächsten Meilenstein auf dem Weg zu umfassenden Systemsimulationen dar.
Prozessentwicklung
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Aktivitäten ist die Simulation unserer Herstellungsprozesse, insbesondere der Spritzgussverfahren für Gummi, Flüssigsilikon, Thermoplaste und Mehrkomponententeile. Wir nutzen dies, um die Entwicklung unserer Spritzgussformen zu beschleunigen und unsere Produktionsprozesse zu optimieren, so dass unsere Produkte die höchsten Qualitätsanforderungen der Kunden erfüllen. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit daran, unser Simulations-Know-how in Richtung Kompressionsformverfahren, Stanzverfahren für Gummiteile sowie Extrusions-, Thermoform- und Tiefziehverfahren zu erweitern.
Prüfung und Modellierung
Eines der wichtigsten Themen im Zusammenhang mit der Simulation ist die Prüfung und Modellierung von Materialeigenschaften. Da wir alle Elastomerwerkstoffe selbst herstellen, einschliesslich der elektrisch und thermisch leitfähigen sowie der elektromagnetisch abschirmenden Materialien, haben wir grosse Anstrengungen unternommen, um alle für die Simulation erforderlichen Eigenschaften so genau wie möglich zu charakterisieren und mit mathematischen Modellen zu beschreiben. Die Ermittlung der am besten geeigneten Materialmodelle auf der Grundlage von Simulationen der spezifisch auftretenden Belastungen verschafft uns eine führende Position in unserem Industriesegment im Bereich der Materialprüfung und -modellierung. Diese Werkstoffkompetenz kommt auch unseren Kunden zugute, da viele von ihnen selbst Simulationen durchführen und sich daher auf die Materialmodelle verlassen, die wir ihnen zur Verfügung stellen.
Beispiel für ein Dätwyler Simulationsprojekt zur Designoptimierung der Gehäusedichtung einer Elektrifizierungsanwendung.
Verringerte Montagekraft
Einführung von RillenReduzierte Kriechneigung des thermoplastischen Gehäuses
Einführung von RillenErhöhte Dichtigkeit und bessere Langzeitbeständigkeit
Einführung von RillenVerbesserter Ausgleich von Konstruktionstoleranzen
Grössere DichtungshöheErhöhte Dichtigkeit
Grössere Dichtungshöhe
Bei Dätwyler ist die Simulation eine eigenständige Abteilung innerhalb der globalen Funktion Technology & Innovation und somit nicht auf die Engineering-Abteilungen der einzelnen Unternehmensbereiche aufgeteilt.
Dies ermöglicht eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Technologieabteilungen, wie z.B. Materials Development & Surface Technologies, Advanced Technologies und Smart Factory. Aufgrund des reibungslosen Wissenstransfers über die verschiedenen Geschäftsbereiche hinweg, können unsere Kunden im Mobilitätssektor umfassend von dem enormen Wissen und der Expertise unseres Unternehmens profitieren. Die Implementierung der Simulationsabteilung als globale Querschnittsfunktion ist auch ein deutliches Signal für die herausragende Bedeutung, die Dätwyler der digitalen Produkt- und Prozessentwicklung beimisst.
Autor
Dr. Rudolf Randler
Head of Simulation